Chemienobelpreis 1944: Otto Hahn

Chemienobelpreis 1944: Otto Hahn
Chemienobelpreis 1944: Otto Hahn
 
Der deutsche Wissenschaftler erhielt den Nobelpreis für Chemie für die »Entdeckung der Kernspaltung von schweren Atomen«.
 
 
Otto Hahn, * Frankfurt (Main) 8. 3. 1879, ✝ Göttingen 28. 7. 1968; 1902-04 Assistent an der Universität Marburg, 1906-12 Forschungen in der »Holzwerkstatt« des Chemischen Instituts der Friedrich-Wilhelms-Universität (Berlin), 1910 Verleihung des Titels »Professor«, 1912-28 Abteilungsleiter am Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI), 1928-45 Direktor des KWI für Chemie, 1946-60 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Otto Hahn wurde in Frankfurt am Main als Sohn eines Glasermeisters geboren und sollte nach dem Willen seines Vaters eigentlich Architekt werden. Angeregt durch eigene Experimente, die er als Schüler in der elterlichen Waschküche durchführte, und durch ein Kolleg über organische Farbstoffe im Frankfurter Naturwissenschaftlichen Verein, beschloss er, Chemie zu studieren.
 
 Erste »radioaktive« Entdeckungen
 
Nach der Promotion in Marburg, einem Jahr Militärdienst und zwei Jahren als Vorlesungsassistent beabsichtigte Hahn, eine Stelle in der chemischen Industrie anzutreten. Vorher sollte er aber einige Zeit im Ausland verbringen. Im Herbst 1904 brach er auf, um bei Sir William Ramsay (Nobelpreis 1904) in London zu arbeiten. Ramsay hatte sich seit einigen Jahren der Erforschung radioaktiver Elemente zugewandt und auch Hahn sollte sich hier in die Radiochemie einarbeiten.
 
Er tat dies mit großem Interesse und vollem Erfolg: Schon nach wenigen Monaten hatte er ein neues radioaktives »Element« entdeckt, das er Radiothorium nannte. Nach heutiger Terminologie ist es kein Element, sondern ein Isotop (228Th), aber der Isotopiebegriff wurde erst zehn Jahre später geprägt. Ramsay war von diesem Erfolg beeindruckt und überzeugte Hahn, die Industriestellung aufzugeben und sich ganz der Radiochemie zu widmen. 1905 arbeitete Hahn ein Dreivierteljahr in Montreal bei Ernest Rutherford (Nobelpreis 1908), um sich gründlich in die neuesten Methoden der Radioaktivitätsforschung einzuarbeiten. Auch hier gelang ihm die Entdeckung zweier neuer radioaktiver Isotope: Thorium C (212Po) und Radioactinium (227Th).
 
 Berlin als neue Wirkungsstätte
 
Ramsay war mit Emil Fischer (Nobelpreis 1902), dem Direktor des Chemischen Instituts der Universität Berlin, befreundet. Dieser sagte Hahn einen Arbeitsplatz an seinem Institut zu. Im Sommer 1906 konnte er die ehemalige Holzwerkstatt des Instituts als Laboratorium einrichten. Das folgende Jahr war in dreierlei Hinsicht bedeutend: Hahn habilitierte an der Berliner Universität im Fach Radiochemie, er entdeckte drei neue Radioisotope (darunter das Mesothorium, 228Ra, das bald in der medizinischen Strahlentherapie Verwendung fand) und er lernte die Physikerin Lise Meitner aus Wien kennen.
 
Meitner wollte bei Max Planck (Nobelpreis für Physik 1918) theoretische Physik hören, war aber auch an Forschungen über Radioaktivität interessiert. So ergab sich schnell eine Zusammenarbeit, die 30 Jahre andauern sollte. Sie begannen mit der Untersuchung der Betastrahlaktivität verschiedener Radioelemente, entdeckten 1908 den radioaktiven Rückstoß und einige neue Radioisotope.
 
 Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie
 
Als zweites Institut der 1911 gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wurde 1912 das KWI für Chemie eingeweiht und Hahn wurde Leiter einer Abteilung für Radioaktivität. Lise Meitner leitete später eine eigene Physikalische Abteilung. Noch während des Ersten Weltkriegs gelang den beiden 1917 die Entdeckung eines wirklich neuen Elements, des Protactiniums, das die Ordnungszahl 91 trägt. Eine weitere wichtige Erkenntnis war die Entdeckung der Kernisomerie 1921. Isomere Atomkerne haben nicht nur wie Isotope die gleiche Anzahl Protonen, sondern auch die gleiche Anzahl Neutronen. Sie unterscheiden sich lediglich durch die Art ihrer beim radioaktiven Zerfall abgegebenen Strahlung.
 
In den folgenden zehn Jahren arbeitete Hahn vorwiegend auf dem Gebiet der angewandten Radiochemie. Er entwickelte die Emaniermethode zum Studium der Oberfläche feinverteilter Niederschläge, die Indikatormethode und die Rubidium-Strontium-Methode als eine Möglichkeit der geologischen Altersbestimmung von Gesteinen.
 
 
1932 war von Sir James Chadwick (Nobelpreis für Physik 1935) das Neutron als Atomkernbestandteil entdeckt worden, zwei Jahre später begann Enrico Fermi (Nobelpreis für Physik 1938) mit seinen Versuchen, aus Uran durch Beschuss mit Neutronen so genannte Transurane herzustellen (künstliche Elemente mit einer höheren Ordnungszahl als das schwerste in der Natur vorkommende Element, Uran). Lise Meitner, die hauptsächlich über Beta- und Gammastrahlen gearbeitet hatte, schlug Hahn vor, ebenfalls auf diesem Gebiet zu forschen.
 
Ab 1935 wurden sie dabei von Fritz Straßmann unterstützt, einem jungen analytischen Chemiker. Die bei der Bestrahlung von Uran mit Neutronen entstehenden zahlreichen neuen Radioisotope wurden anhand ihrer Strahlung charakterisiert, (immer in der Annahme, dass es sich um Transurane handelt) und sie glaubten, das periodische System bis zum Element mit der Ordnungszahl 96 erweitert zu haben. Manche Befunde blieben unverständlich und speziell einige gefundene Radiumisotope konnten nicht erklärt werden. Nach der vorherrschenden Meinung waren nur kleinere Kernreaktionen möglich, bei denen sich die Ordnungszahl der beteiligten Elemente um eine Einheit (beim Betazerfall) oder maximal um zwei Einheiten (beim Alphazerfall) änderte. Radium mit der Ordnungszahl 88 war aber vier Einheiten vom Uran entfernt!
 
Nach dem »Anschluss« Österreichs an das Dritte Reich im März 1938 verlor Lise Meitner, die Jüdin war, ihre österreichische Staatsbürgerschaft, die sie bisher vor der in Deutschland herrschenden Judenverfolgung geschützt hatte. Sie emigrierte nach Schweden, blieb aber weiter in engem Briefkontakt mit Hahn. Hahn und Straßmann kamen im Dezember 1938 zu der Erkenntnis, dass sich ihre geheimnisvollen Radiumisotope von allen anderen bekannten Elementen trennen ließen — außer von Barium. Nach zahlreichen Kontrollversuchen stand für sie fest, dass es sich dabei tatsächlich um Barium handelt, ein Element, das nur etwa halb so schwer ist wie Uran. Dieser Befund widersprach allen kernphysikalischen Theorien, es schien zunächst undenkbar, dass der Urankern in zwei etwa gleich große Teile »zerplatzen« könnte.
 
Diese überraschenden Ergebnisse wurden Lise Meitner noch vor der Veröffentlichung brieflich mitgeteilt und sie konnte innerhalb kurzer Zeit zusammen mit ihrem Neffen Otto Robert Frisch eine physikalische Erklärung für die von ihnen so genannte Kernspaltung geben. Weitere Berechnungen zeigten dann schnell, dass diese mit einer enormen Energiefreisetzung verbunden ist, und auch die Möglichkeit einer Kettenreaktion wurde bald erkannt.
 
Hahn und Straßmann arbeiteten in den nächsten Jahren an der Identifizierung der zahlreichen Spaltprodukte, von denen bis 1945 insgesamt mehr als 100 gefunden wurden. Obwohl Hahn nicht an der Entwicklung eines Kernreaktors mitgearbeitet hatte, wurde er nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zusammen mit neun anderen deutschen Atomforschern in England interniert.
 
Nach seiner Rückkehr im Frühjahr 1946 wurde er Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (die Nachfolgeorganisation der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft), der er bis 1960 vorstand. In dieser Funktion war er maßgeblich am Wiederaufbau der deutschen Wissenschaft in der Nachkriegszeit beteiligt.
 
R. Hahn

Universal-Lexikon. 2012.

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